Thursday, January 28, 2010

Die Lage Obamas und der Nation

Vergangene Nacht hat Barack Obama bekanntlich seine erste Rede zur Lage der Nation (State of the Union Address) gehalten. Das große Vorzeichen der Rede war der Verlust des wichtigen Senatssitzes von Teddy Kennedy an den Republikaner Scott Brown in der letzten Woche und die weiter sinkenden Umfragewerte für Obamas Regierung. Was also tun? In einem Interview erklärte der Präsident, er sei lieber ein "guter Präsident mit nur einer Amtszeit", als ein "mittelmäßiger für zwei". Er will also tun, was er für richtig hält, unabhängig von den Umfragewerten. Das ist ihm positiv anzurechnen, diese Charakterstärke habe ich auch bei George W. Bush immer bewundert. Bei Barack Obama gibt es da aber ein paar Probleme: zum einen ist das, was er für richtig hält, meistens falsch. Zum anderen hat Obama dieser Tage seinen Wahlkampfmanager als Berater zurück in seinen Stab geholt; die Administration trifft sich wöchentlich zur Analyse ihrer Umfragewerte im Weissen Haus. So egal scheint die Demoskopie also doch nicht zu sein.
Barack Obama regiert momentan gegen die Mehrheit seiner Landsleute. Die Amerikaner sind weder mit seiner soften Anti-Terror-Politik, noch mit seiner Gesundheitsreform, einverstanden. Obama schlussfolgert in einer recht arroganten Weise daraus, dass die Menschen ihn einfach nicht ausreichend verstehen - und das, obwohl er so viele Reden, Interviews und Pressekonferenzen gegeben hat wie kein anderer Präsident in seinem ersten Jahr.
Es ist nicht gut, beim Regieren seine Fahne einfach nach dem Wind zu richten. Aber sein eigenes Land gegen den Willen der Menschen revolutionieren zu wollen, kann hier auch nicht die Lösung sein. Barack Obama muss einen Weg finden, auf die Menschen zu hören, statt immer nur selbst zu reden.

Entsprechend schwierig waren also die Umstände dieser Rede. Die TV-Kommentatoren rätselten: ist seine Lösung ein Schritt nach Links oder ein Schritt zur Mitte?
Präsident Obama hat beides in einem versucht - und ist damit grandios gescheitert. Mit mehr Selbstbewusstsein hat er sich zu seinen linken Positionen bekannt, linke Anliegen forsch vorangetrieben (vor allem die Aufhebung von "Don't ask, don't tell"), und damit vielleicht seine Unterstützer von linksaußen vorläufig versöhnt. Seine Versuche, auf die Mitte und die Konservativen zuzugehen, waren weniger als kläglich. Die üblichen Phrasen von dem Wunsch nach Überparteilichkeit standen in zu argem Kontrast zum sehr parteiischen Auftreten der Demokraten; die Außen- und Sicherheitspolitik spielte in der Rede nur eine minimale Rolle.

Bei seinen bisherigen Reden konnte Obama meine Sympathie gewinnen, auch an Punkten, an denen ich inhaltlich nicht zustimmen konnte. Von diesem "Obama-Effekt" war gestern nichts zu spüren, und das ist das eigentlich überraschende an der Rede. Obamas Rhetorik war vollkommen uninspiriert; der Auftritt ungewohnt glanzlos für eine State of the Union (beispielsweise fehlte die Begrüßung von originell ausgewählten Ehrengästen, lediglich der Botschafter von Haiti tauchte mal unauffällig im Bild auf). Sehr sehr schade.

Ich glaube, Barack Obama fühlt sich gerade in eine neue Rolle ein. Er lernt nun, nicht mehr der "Messias für alle" zu sein, sondern ein harter Realpolitiker mit einer Agenda, die ihm viele Feinde beschert hat und noch bescheren wird. Er lernt erst jetzt, dass es Menschen gibt, die seine Vision von einem neuen, anderen Amerika nicht teilen, sondern diese als Bedrohung empfinden.
Der Harmonie-Fixierte Obama wird in Zukunft aggressiver kämpfen. Seine Agenda ist es ihm Wert.
Das bedeutet aber auch, dass er in Zukunft noch härter kritisiert wird. Zum Beispiel von mir.



(zum Weiterlesen: loyal bushie hat die etwas emotionalere Kritik der Rede.)