Barack Obama ist in den Augen der meisten Westeuropäer kein typischer Amerikaner. Als Schwarzer gehört er einer Minderheit an, die von vielen Europäern in einer ewigen Opferrolle gesehen wird. Wenn die Deutschen also Obama lieben, dann lieben sie einen Amerikaner, der in ihren Augen eigentlich kein Amerikaner ist, sondern vielmehr ein Angehöriger einer unterdrückten Minderheit, der durch seinen Wahlsieg das amerikanische System besiegt hat. Nichts könnte absurder sein als diese Ansicht. In Wahrheit ist der Wahlsieg Obamas ja gerade ein Zeichen für die Offenheit, Liberalität und Entwicklungsfähigkeit Amerikas – wohl in keinem europäischen Land könnte ein Schwarzer Präsident werden.
Diese Stärke Amerikas zeigt sich allerdings genauso auch auf der anderen Seite des politischen Spektrums: Michael Steele, der neue Vorsitzende der Republikanischen Partei, ist ein Afroamerikaner. Und einer der möglichen Herausforderer Obamas in der Präsidentschaftswahl 2012, Bobby Jindal, der Gouverneur von Louisiana, ist ein ethnischer Inder. Diese Tatsachen sind in Europa bezeichnenderweise nur wenig bekannt, denn sie entsprechen nicht dem europäischen Klischee über die amerikanischen Konservativen, denen man gerne pauschal Rassismus vorwirft.
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Man verkennt in Deutschland, dass es die Amerikaner nur wenig interessiert, was man in Europa von ihnen denkt. Trotzdem sehen sich viele Europäer gegenüber den USA in der Position eines moralischen Schiedsrichters – man kann diesen Gedanken wohl nur mit einem Fall von kollektivem Narzissmus erklären, von dem die europäischen Gesellschaften befallen sind.
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Vermutlich hatte der westdeutsche Amerikahass zwei Gründe. Zum einen erschütterte die deutsche Niederlage im Zweiten Weltkrieg das Weltbild vieler Deutscher, das von kulturellem Hochmut gegenüber den USA geprägt gewesen war: Deutschland, die Nation Goethes und Schillers, hatte nicht nur entsetzliche Verbrechen begangen, sondern es hatte auch eine militärische und moralische Niederlage erlitten – und das ausgerechnet gegen das Land von Mickey Mouse und Coca-Cola. Das war für den deutschen Bildungsbürger – egal, ob er nun politisch links oder rechts stand – nur schwer zu ertragen.