Es ist wahrlich nicht leicht, sich ein Urteil über diesen 21. Bond-Film zu bilden angesichts des Gefühls der Ratlosigkeit, das er beim Zuschauer hinterlässt. Nie haben sich die Produzenten so eng an die Romanvorlage gehalten; doch stellt sich die Frage: war das wirklich James Bond?
Als im Jahr 1969 erstmals ein anderer als der legendäre Sean Connery die Rolle des James Bond übernehmen musste, taten die Produzenten alles, um den Fans den Umstieg so leicht wie möglich zu machen, beispielsweise wurden im Vorspann kurze Ausschnitte aus den vergangenen 007-Abenteuern gezeigt. Die Botschaft war deutlich: Keine Panik, es ist immer noch euer Bond!
Daniel Craig nun ist der 6. James Bond. Seine Wahl war mehr als umstritten, doch nach Pierce Brosnan war es sowieso schwer, einen würdigen Ersatz zu finden. Craig wurde schon lange vor Drehbeginn heftig kritisiert und viele Fans der Serie hielten ihn, wie damals George Lazenby, für eine schlechte Wahl. Im Jahre 2006 jedoch kümmert es die Produzenten scheinbar weniger, wie ihr Publikum die Umstellung auf einen neuen Bond verkraftet, denn es wird nichts unternommen, um diese zu erleichtern. Im Gegenteil: Bond-Kenner und –Traditionalisten werden durch zahlreiche Details und Fehler zusätzlich verstört. Schmerzlich vermisst werden Miss Moneypenny und Q.
Die Eröffnungssequenz, diesmal in schwarz-weiss, ist ungewöhnlich kurz und mündet in einen seltsam fremden Vorspann, in dem erstmals die schönen Frauen fehlen – ein Mangel, der sich auch im weiteren Verlauf des Films nicht ändern wird. Das Titellied von Audioslave-Sänger Chris Cornell ist gewöhnungsbedürftig, was aber nicht schlecht sein muss. Für den Soundtrack zeigt sich zum vierten Mal in Folge der geniale David Arnold verantwortlich, welcher hier aber eindeutig seine schwächste Arbeit abgeliefert hat. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang die Schlussszene, in der das erste Mal Monty Normans berühmtes James-Bond-Thema erklingt. Ob dieser zugegeben ergreifende Effekt es aber Wert war, während des ganzen restlichen Films auf diese so typische Musik zu verzichten, sei dahingestellt.
Nach dem Vorspann hat „Casino Royale“ gleich einen actiongeladenen Höhepunkt: in einer atemlosen Sequenz, die leider viel zu schnell geschnitten ist, verfolgt Bond einen Bombenleger bis in die luftigen Höhen eines Krans. Die schlechte Kameraarbeit hier wird später bei den Casinoszenen wettgemacht, am Spieltisch erlebt der Zuschauer brillante Perspektiven. Überhaupt gehören diese ruhigen Szenen zu den spannendsten, leider dürften die zahlreichen Kinogänger, die vom Texas Hold’em-Poker nichts verstehen, dies anders beurteilen.
Ein anderes Thema des Films ist das product placement: eigentlich stört es nicht. Das Handy sieht man ein bisschen zu oft, das Auto hätte man gerne etwas länger gesehen. Schon jetzt Kult sind die Szenen in Gunther von Hagens „Körperwelten“-Ausstellung. Hier ist den Machern wirklich ein guter Einfall geglückt.
Hauptsache in diesem Film sind nicht die Terroristen. Überhaupt hat man das Gefühl, der Story fehle es an einem roten Faden. Kein Superschurke, der die Welt vernichten will. Die Hauptsache in diesem Film ist stattdessen Bond selbst und seine Liebe zur Schatzbeamtin Vesper Lyndt, deren barockes Äußeres sich ebenfalls wenig in die Tradition der üblichen Bond-Gespielinnen einfügen mag. Tatsächlich fällt zwischen den Beiden das Wort „Liebe“, und James will sogar seinen Beruf an den Nagel hängen, um sie heiraten zu können. Die Konversationen sprühen hier vor Wortwitz, wenn man als Fan jedoch anmerken will, dass der „echte“, oder eben nur der „gewohnte“, James Bond weder „Schlampe“ noch „blöde Kuh“ sagen würde. Bis zur DVD-Veröffentlichung wollen wir dieses Manko der eigentlich recht gelungenen Synchronisation zuschieben. Manches allerdings glaubt man schon gehört zu haben – so gleicht Vespers Philosophieren über die Arbeit als Agent verdächtig dem von Natalya Simonova in „GoldenEye“. Vespers Tod scheint Bond nicht sehr nahe zu gehen, noch viel weniger der brutale Mord an seiner Kurzzeit-Freundin mit Namen Solange. Dies scheint unglaubwürdig angesichts seiner emotionalen Reaktion auf den Tod seiner Feindin Elektra King in „Die Welt ist nicht genug“. Doch diese Geschichte ist zur Zeit von „Casino Royale“ ja noch gar nicht passiert, womit wir beim wichtigsten Punkt dieses Bond-Films angelangt wären.
„Casino Royale“ spielt in der Zeitrechnung des Bond-Universums noch vor „Dr. No“, also vor 1962. Dennoch spielt der Film gleichzeitig im 21. Jahrhundert (M: „Nach dem 11. September…“; „Herrgott, wie mir der Kalte Krieg fehlt“). Diese verstörenden Zeitunterschiede dominieren den Film und alles, was darin geschieht. Bond lernt Felix Leiter kennen, mit dem er schon in vielen Filmen zusammengearbeitet hat. Bond wird von der wunderbaren Judi Dench als M heruntergeputzt, obwohl die beiden über die Jahre fast schon Freunde wurden. Daniel Craig (dessen blonde Haare nicht, wie oft behauptet, stören) soll also der junge Bond sein – doch er sieht älter aus als einige seiner Vorgänger. Somit beantwortet „Casino Royale“ eine Frage: was wäre, wenn die ersten 20 Bond-Filme nie stattgefunden hätten, und ein junger Mann namens James Bond heute beim MI6 anfangen würde?
Leider ist dies eine Frage, die niemand gestellt hat.